Der Schuss hatte Tommys linkes Ohr knapp verfehlt. Seither bildete er sich ein, unter einem Tinnitus zu leiden. Michi nahm seine Jammerei nicht ernst.
Die Überfälle auf die Team Santé Apotheken Voitsberg und Hausmannstätten waren problemlos verlaufen. Sowohl das erbeutete Substitol als auch das Xanor hätte für den ganzen Herbst gereicht, wenn sie nicht mindestens die Hälfte davon auf dem Schwarzmarkt in Graz verscherbelt hätten.
Bei beiden Raubüberfällen hatte Michi mit seiner Walther PPK die Angestellten in Schach gehalten, während Tommy die Medikamente an sich genommen hatte. Beide hatten schwarze Baseballkappen und FFP2 Masken getragen. Den Angestellten war es schwergefallen, der Polizei eine genaue Beschreibung der Täter zu geben. Da beide Männer dunkelhaarig und sonnengebräunt waren, und Tommy absichtlich einige Worte auf Slowenisch fallengelassen hatte, fahndete die Polizei nach zwei Ausländern.
Der Boden in der Steiermark wurde ihnen trotzdem zu heiß. Sie beschlossen, sich die Linden Apotheke in Leibnitz für nächstes Jahr aufzusparen und verzogen sich ins Salzburgland. Michi kannte in der Nähe von Altenmarkt im Pongau eine Almhütte, die angeblich leer stand.
Der idyllisch gelegene Zauchensee war ein beliebtes Wintersportgebiet. Anfang Oktober war hier noch nicht viel los. Tommy und Michi deckten sich in einem Supermarkt mit Lebensmitteln und Bier ein. Danach wollte sich Michi in der Tauern Apotheke kurz umsehen. Tommy blieb im Wagen. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals und das Team Santé-Logo über dem Eingang der Apotheke verschwamm vor seinen Augen. Rasch griff er nach einem Papiersackerl, hielt es an den Mund und atmete hinein. In diesem Moment riss Michi die Wagentür auf und bewarf ihn mit Gummibärchen.
„Ich hab den Gummibärchenstand aufgekauft“, kicherte er.
„Blödmann“, schnaufte Tommy.
Michi fand die einsam gelegene Almhütte auf Anhieb. Seinen Wagen ließen sie am Ende des Forstweges stehen und schleppten ihre schweren Rucksäcke die letzten hundert Meter bergauf. Der Schlüssel für die Hütte lag auf dem Türrahmen.
Der Altweibersommer zeigte sich von seiner besten Seite. Michi lungerte vor der Hütte herum, ließ sich die Sonne auf den nackten Bauch scheinen, leerte eine Dose nach der anderen, rauchte sich ein und futterte Gummibärchen.
Tommy litt jedoch bald unter Entzugserscheinungen, da ihm das Xanor ausgegangen war. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Schwitzend und zitternd verbrachte er die meiste Zeit im Bett und wand sich unter Bauch- und Muskelkrämpfen.
Als das Wetter umschlug und es in der Hütte ungemütlich wurde, sagte Michi eines Morgens: „Krieg endlich deinen Arsch hoch, Alter. Wir müssen uns schleunigst Nachschub besorgen und dann nichts wie weg. Hier beginnt es oft schon Ende Oktober zu schneien.“
Plötzlich vernahmen sie lautes Bellen und eine tiefe männliche Stimme vor der Hütte.
Michi schnappte sich seine Walther PPK.
„Spiel nicht wieder James Bond“, flehte Tommy.
Auf einmal ging alles sehr schnell. In der Tür stand ein uralter, fast zahnloser Mann mit einem großen Schäferhund.
„Ja, sapperlot, wer seid´s ihr denn?“ Erschrocken starrte er auf die Pistole in Michis Hand. „Benno fass!“
Der Hund sprang Michi an, brachte ihn fast zu Fall. Ein Schuss löste sich. Michi heulte auf. Der Hund fiel jaulend zu Boden. Der Schäfer griff sich stöhnend an die Brust, dann kippte auch er um.
„Du hast ihn erschossen“, schrie Tommy.
„Er hat mich gebissen“, jammerte Michi.
„Ich meine den Schäfer, du Trottel!“
Tommy kniete sich neben den alten Mann, versuchte seinen Puls zu fühlen.
„Der ist mausetot“, flüsterte er, bemühte sich aber trotzdem, den Alten wieder zu beatmen. Als er einsah, dass der arme Kerl vermutlich einem Herzinfarkt erlegen war, kümmerte er sich um den angeschossenen Hund.
Das schöne Tier lag in einer riesigen Blutlache. Sein Brustkorb zuckte schwach.
„Gib ihm endlich den Gnadenschuss“, fauchte Tommy. „Ich kann keine Tiere leiden sehen.“
Michi hockte heulend am Boden und starrte auf seine blutende Hand. Die Pistole lag neben ihm. Tommy hob sie auf, hielt sie dem Hund an den Kopf und drückte mit geschlossenen Augen ab.
Der Nebel hatte sich noch nicht gelichtet, als sie einige Stunden später hinunter nach Altenmarkt fuhren. Den toten Schäfer und seinen treuen Gefährten hatten sie in der Hütte zurückgelassen.
„Du musst das Ding heute allein drehen. Meine Hand pocht so komisch“, schnaufte Michi.
Tommy sah sich die stark entzündete Bisswunde genauer an und entdeckte einen winzigen roten Strich am Unterarm seines Freundes. „Scheiße, Mann! Das schaut nach einer Blutvergiftung aus.“
Mit schlotternden Knien betrat er dann die Tauern Apotheke.
„Anti…biotika ge…gen eine Sep…sis“, stammelte er.
Wenn er aufgeregt war, und das war er immer, wenn er einer attraktiven Frau begegnete, geriet er ins Stottern. Die Angestellte sah seiner geliebten Emma verblüffend ähnlich.
„Haben Sie ein Rezept?“, fragte die junge Frau.
„Her… her da…mit!“ Tommy zog die Walther aus seinem Hosenbund und richtete sie auf ihren hübschen Busen.
Plötzlich ertönten Polizeisirenen.